Philosophie des Weins

Von Nietzsche stammt die wunderbare Erkenntnis, daß genau genommen jeder Mensch eigentlich seine eigene Philosophie hat. Es ist also gar nicht so entscheidend, ob sich da einer als Kantianer, Existentialist oder auch als Christ sieht. Das individuelle Leben prägt entscheidend die daraus entstehende praktische Philosophie des Individuums.

Doch trotz aller Individualität lassen sich gewisse philosophischen Grundlinien meiner Ansicht nach nur aus dem jeweiligen Kulturraum verstehen. Daher auch die Faszination und das gleichzeitige Unbegreifliche von westlicher zu östlicher Philosophie und umgekehrt.

Aber was prägt nun den Kulturraum genau? Klima, Geschichte, Gesellschaftsstruktur…alles gute und richtige Antworten. Aber als gebürtiger Mainzer fällt mir natürlich auch der Alkohol in Weinform ein.

So wie meine Kompositionen quasi ein musikgewordenes Mainzer Weinhaus sind ( man setze sich zu komplett fremden Menschen an den 6er Tisch, trinkt Wein, ißt, redet mit allen und hat einen wunderbaren Abend mit neuen Eindrücken und eventuell neuen Freunden ) , so ist die Philosophie des rheinischen Katholizismus ( „Jedem Tierchen sein Plaisirchen“ mit gleichzeitiger fundierter Ablehnung jedes Radikalismus ) schwer denkbar ohne den Genuß von Weißwein.

Besonders klar wird dies bei der kurzen Reise von der weinanbauenden Vorderpfalz in die biertrinkenden Waldpfälzer Gegenden.

Während das Temperament der Rheinpfälzer sehr bewegt, angeregt und der Aufgeregtheit und Quirligkeit angelehnt zu sein scheint, sind die Pfälzer der Anhöhen doch eher etwas gemütlich, unaufgeregt und brauchen ein vielfaches der Zeit, um sich aufzuregen oder auch zu erregen.

Dementsprechend ändert sich auch die Philosophie mit dem konsumierten Drogen: zu Hans-Georg Gadamer paßt das viel zu kleine Rotweinglas. Man spürt hier förmlich den Willen der Nachkriegsgeneration, nur kleine Brötchen zu backen. Noch mehr paßt hier nicht zusammen: Gadamer stammt ursprünglich aus Breslau. Doch nie erwähnt er etwas über das Schicksal der verlorenen Heimat. Er scheint sich oberflächlich angepaßt zu haben an das trollingerhafte Schicksal des kleinteiligen Baden-Württembergs.

In der Zeit des aus Stuttgart stammenden Hegels hingegen war der Trollinger noch eine vergleichsweise schwere aus Frankreich importierte Sorte, die auch das Denken in ungewohnt schwere Bahnen forderte.

Wenn wir schon beim Trollinger sind: Gibt es nicht eine gewisse geistige Ähnlichkeit zwischen dem alles niederwalzenden Weltgeistes eines Hegels und dem moralischen Rigorismus der aus der selben Region stammenden Führer der RAF: Bader & Ensslin ?

Ein Westpfälzer Biertrinker hätte sich zu solchem Gedankengut nie aufgetan: er wäre viel lieber in der natürlichen Musikalität des Kuseler Landstrichs geblieben, die sich in einem Talent wie Fritz Wunderlich besonders wunderbar ausbildete.

Die ganze Tragik Nietzsches kann man wiederum erst begreifen, wenn man seinen Geburtsort näher kennt:

In der undefinierten Landschaft zwischen Weißenfels und Leipzig gibt nichts Kontur: Für Wein zu kalt, für Schnaps zu warm, muß man hier von fremden, unbekannten Genüßen träumen, denen man zwar nahe kommen kann, die aber letztlich nie Teil der eigenen Natur werden. Ob es die Extreme der Schweizer Alpen oder das reiche kulturelle Erbe Italiens ist, alles sehnt sich aus dieser weder Fisch noch  Fleisch-Landschaft des Nichtpassierens und Nichtentschiedenseins hinaus.

Hätte Nietzsches Denken das selbe Extrem gefunden, wäre er in Mainz geboren worden? Mit Sicherheit nicht. Näher wäre ihm dann mit Sicherheit der mit Apfelwein aufgewachsene und sich in den Rieslingweinbergen von Wiesbaden-Frauenstein verlustierende Goethe gewesen und er wäre geistig mehr beim dem Schoppenhauer und -stecher Schopenhauer geblieben.

Ein immerwährendes Rätsel bleibt natürlich Kant, der sich jeder Kategorisierung entzieht. Doch wäre etwa Dostojevski oder Tolstoi denkbar ohne Wodka ?

Wie anders ist der Pragmatismus der englischen Philosophie erklärbar als durch warmes Bier ?

Und wer einmal die klarende Wirkung des japanischen Sake geschätzt hat, weiß noch mehr die scheinbar übermenschlich schwebende Wirkung der Zen Philosophie in sich aufzunehmen.

Alles in allem erweist sich allerdings, dass die Philosophie doch in den Gebieten des Weines, und um noch genauer zu sein, in den Weissweingebieten,  zu ihrer wahren Blüte fand. Ob Albert Schweitzer aus dem Edelzwicker und Gewürztraminer Gebiet, Michel de Eyquem Montaigne aus Bordeaux ( Weiß- und Rotwein ) , Rousseau aus Genf ( Chasselas ) , Karl Marx aus Trier ( Elbling, eine Art Ur-Riesling ) , der Weißwein verleitet anscheinend und inspiriert dazu, die westliche Art des Philosophierens zu befördern. 

In diesem Sinne laßt uns das nächste Glas Wein auch im Namen der Philosophie zum Munde erheben !

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