Bei der unglaublichen Fülle an in die Tiefe gehender Gedanken bei Friedrich Nietzsche ist es schwer, einen Lieblingsgedanken zu finden.
Einer, der dem sehr nahe kommt, ist Nietzsches Idee, daß bei genauer Betrachtung eigentlich jeder Mensch seine eigene Philosophie hat.
Sprich: das eigene Leben mit seinen Erfahrungen von frühester Kindheit an prägt die praktische Philosophie des Individuums in höchstem Maße. Passend dazu wird es dann entsprechend zu den passenden Texten & Begründungen hingezogen.
Im besten Fall erweitern diese wiederum jene Privatphilosophie zu einer größeren und freieren Sicht auf die Welt.
Für mich prägend waren die Zerstörung des Lebens, von mir empfunden als Selbstzerstörung des eignen Lebens, am Beispiel meiner Mutter und meines Onkels Roland.
Bedingt durch den Abstand der Generationen aus der Sicht des Kindes wird mir zwar immer die Komplexität Ihrer Leben zu einem Teil verschlossen bleiben und damit auch die Gründe für die innere Verzweiflung, die in beiden Fällen zu Alkoholsucht und körperlichem wie sozialem Niedergang führte, doch war mir intuitiv klar, daß dies ein gefährlicher Strudel war, dem ich mich kraftvoll entgegenstellen mußte.
Eine Quelle der Kraft, zu der ich mich im Leben immer wieder unterschiedlich stark hingezogen fühlte, ist der christliche Glaube.
Im Alter von etwa 8-10 Jahren versank ich soweit darin, daß ich auch daran dachte, Priester zu werden. Mit der mir immer wieder zu eigenen extremen Entschlossenheit , die manchmal schwer von Fanatismus und Sturheit zu unterscheiden war, besuchte ich unter der Woche die Frühmesse noch vor Beginn der Schule und meditierte mich in das Beten des Rosenkranzes hinein.
Mit zunehmender Belesenheit und einer gewissen narzisstischen Freude am eigenen Intellekt begann ich danach all dies mit größter Freude an Zerstörung und intellektuellen Spielereien in Frage zu stellen, besonders im Rahmen des bald beginnenden Kommunionunterrichts.
Der zweite Weg in den Glauben führte nach Ende meiner Ehe & Familie und des damit einhergehenden Gefühls von einer gewissen Verlorenheit & Ungeerdetheit über die Musik von Bach.
Ich sehe noch das Bild vor mir: meine spielenden Kinder auf dem Spielplatz von Liesborn in Westfalen, der auch eine Art Klangskulptur hatte, in der man seinen ureigenen Sound ausprobieren konnte, im Hintergrund die wunderschöne Abtei:
Mit einem Male war mir klar, wie die von mir komponierte Musik einen neuen Sinn gewann:
In der Demut vor Gott und seiner Schöpfung.
Dies, erschien mir, machte die Musik Bachs so groß vor vielen Anderen: Seine Bereitschaft, sein Talent nicht als Selbstzweck strahlen zu lassen, sondern sich selbst in gewisser Weise zu erniedrigen, um aus freiem Willen sich einen Rahmen zu setzen, zu dessen Vervollkommnung man nun seinen Beitrag leistet.
Auf diesem Grundgedanken aufbauend ließ ich mich nun führen und versuchte mich zu öffnen für den Weg, den Gott mir ausgesucht hatte.
Und umso mehr das reale Leben auf mir lastete, sei es mit unglücklichen Beziehungen oder materiellen Sorgen, desto mehr gewann ich durch Meditation und Konzentration auf diesem nur im Verborgenen zu findenden Pfad.
So begann in gewisser Weise das „Orchester der Kulturen“ und noch mehr „Spirit of One“ und der „Chor der Kulturen“.
Doch zurück zu meiner Erfahrung meines unmittelbaren Lebens:
Mir erschien, daß das Unglück meiner Mutter und meines Onkels, und in gewisser Weise auch meines Vaters, einerseits dem Gefühl der Einsamkeit und Wehrlosigkeit entsprangen und auf der anderen Seite der Sehnsucht nach Bestätigung und Liebe.
Alles menschlich absolut verständliche Sehnsüchte, die wohl jedem innewohnen. Doch was ist, wenn es keine Entsprechung auf der Außenseite der eigenen Person gibt ?
Ich kann keinen anderen Menschen zwingen, meine Einsamkeit zu beenden. Wohl kann ich mein Leben jederzeit ändern. Doch was ist, wenn mir das Zutrauen dazu fehlt? Was, wenn das Zutrauen zu mir selbst fehlt ?
Alle Eltern wissen, wie schwer es schon ist, nur einem Kind gerecht zu werden. Bei mehreren Kindern wird es schwerlich immer Konzentration und Liebe geben, die jedem Bedürfnis des Kindes gerecht wird.
So wird es immer eine Berechtigung haben, die Eltern für mangelnde Liebe und Zuspruch verantwortlich zu machen, und damit auch für jene innere Leere und schlechten Entscheidungen im eigenen Leben.
Es ist leicht, die mangelnde Liebe im eigenen Leben auf den Partner, auf Gott, auf die Gesellschaft zu projizieren, und bei mangelnder Erwiderung eben wiederum für das eigene Unglück verantwortlich zu machen.
Doch vielleicht liegt der Fehler schon in der Zerfransung der Sinnsuche ? Auf so viele Wege verstreut sich die Sehnsucht des Ichs nach Bestätigung und Sinn des eigenen Lebens in der vagen Hoffnung, daß möglichst viele Bestätigungen einem das tägliche Aufwachen erleichtern.
Mir scheint da ein radikal einfacher Weg am Liebsten:
Setze a priori, daß Deine Existenz einen Sinn hat.
Setze a priori, daß jegliche Existenz einen Sinn hat.
Es ist nicht mal entscheidend, was nun genau dieser Sinn sei:
Erkenntnis, Schönheit, Wahrheit, Liebe….
All dies sind letztendlich nur Unterantworten für die starke Behauptung:
Daß ich bin, hat einen Sinn.
Welcher, das wird sich schon weisen…
Ähnlich, aber doch anders, ist Goethes Satz vom:
„Der Sinn des Lebens ist das Leben selbst,“
der allerdings Platz für eine leichte Absurdität offen läßt, da es sich um eine Erkenntnis eines Übergeordneten handelt, für die man in gewisser Weise die Verantwortung abgibt.
Mir geht es um die willentliche Setzung des einzelnen Individuums:
Ich erkenne, daß die Sinnsuche in jeglicher Form nur zu Unglück und Selbstzerstörung führt.
Daher behaupte ich meinen eigenen Sinn.
Dieser Gedanke ist dann doch näher an dem viel gescholtenen Konzept des Übermenschen von Nietzsche.
Es geht einher mit meiner Lebenserfahrung, daß bei allen Schwierigkeiten des Lebens, die einen leicht in Verzweiflung und Lebensmüdigkeit führen können, die Lösung letztendlich immer bei einem selber zu finden ist.
Das Gebet mag auch manchmal als Stoßgebet die erste Verzweiflung erleichtern und Hoffnung mag einen ein paar Schritte weiterführen.
Doch gerade wenn man das christliche Konzept Ernst nimmt, daß der Mensch ein gottbegabtes Wesen ist, dann ist die höchste Wahrscheinlichkeit der Lösung jeglichen Problems in einem selber oder genauer gesagt in dem gottbegabten Teil unseres Wesens zu finden.
Und mag die Lösung auch noch so versteckt sein: die Überzeugung, daß der Ort des Problems ( nämlich das Ich ) auch seine Lösung birgt, ist die größtmögliche Kraft des eigenen Lebens.
Und da in jedem von uns nicht nur das invidiuelle Leben zuhause ist, sonder auch die universale Kraft des Lebens, haben wir auch immer, wenn auch mitunter erschwerten, Zugang zu dieser den ganzen Kosmos umspannenden Urinspiration des Universums.
Jeder mag seine eigenen Wege entwickeln, um dorthin zu kommen: Ruhe, Natur, Mediation, Gebet, Musik, Kunst, Poesie.. sie alle öffnen Wege. Entscheidend ist die innere Überzeugung, selbst die Quelle der Kraft zu sein.