Diesen Oktober habe ich mich zurück zu meinen familiären Wurzeln treiben lassen und unternahm eine kleine Reise über Marienbad nach Schlesien, der Heimat meiner Familie mütterlicherseits.
Begonnen hatte alles damit, daß mir letztes Jahr klar wurde, daß ich nochmal als erwachsener Mann in die Heimat der Familie meiner Mutter reisen wollte & mußte. Im Gegensatz zu vielen Menschen in Deutschland, deren Vater oder Mutter vertrieben worden sind, war es mir vergönnt, die Heimat meiner Mutter noch als Kind kennenzulernen. Das hatte mit der besonderen Situation meiner Familie nach dem Krieg zu tun. Da das oberschlesische Industrierevier nah an der Grenze zu Polen lag, konnte man auch polnisch und entschied sich nach dem Krieg trotz der zahlreichen Repressalien dazubleiben. Erst nach der polnischen Matura siedelte beispielsweise meine Mutter in den Westen um. Andere Verwandte taten dies erst Anfang der 70er Jahre. So sprach meine Mutter auch perfektes Polnisch und hatte aus Ihrer Jugend auch zahlreiche persönliche Kontakte. So fuhren dann meine Eltern öfters ins kommunistische Polen durch die noch kommunistischere DDR, gaben meinen Vater Taubstummen aus, sammelten Kunstwerke polnischer Maler und viele andere Kostbarkeiten, die den am real-existierenden Mangelmaterialismus geschulten Zöllnern nicht als wertvoll galten.
Ich wurde dabei teils länger bei den Eltern eines Jugendfreundes meiner Mutter auf einem kleinen oberschlesischen Bauernhof gelassen, auf dem man so gut wie alles selber machte. Ich erinnere mich noch an das Butterfass, die Schweineschlachtung, die gigantischen Kühe, die ich per Hand molk, die furchterregend hysterischen Truthähne und nicht zuletzt die unheimlich tiefen Teiche hinterm Haus, die durch eingestürzte Steinkohlenstollen entstanden waren.
Als ich von der Absicht meiner Reise erzählte, gab es in Deutschland durchweg die selbe Reaktion: jeder hatte Verwandte in den ehemaligen Ostgebieten: ob Ostpreußen, Schlesien, Sudetenland oder andere Gebiete. Jeder ermutigte mich, die Reise zu unternehmen, und jeder gab zu, daß er noch nie in der Heimat seiner Familie war. Auch wenn ich nicht alle einzelnen Geschichten kenne: Ich kann es gut nachvollziehen. Das oft unausgesprochene Trauma der verlorenen Heimat, das viele erlittene damit verbundene Leid; all dies lud nie dazu ein, sich damit erneut auseinanderzusetzen. Stattdessen gab man oft auf beim Versuch der jüngeren Generation, von der älteren Generation etwas über die unbekannte Heimat im Osten zu erfahren. Viel zu viele Menschen starben schon, die alles, was mit Ihrer Jugend verbunden war, in Ihrer Seele einschloßen und so taten, als wäre dies alles unwiderruflich vorüber.
Je weiter ich nach Osten fuhr, umso mehr merkte ich, wie wenig das stimmte.
Fortsetzung folgt…..