Nach der Durchfahrt von Prag wird die Landschaft schnell weiter. Ein liebliches weites Land mit idyllischen Kleinstädten. Spätestens hier liegt die Gedrängtheit Westdeutschlands in Bebauung und Lebensart weit hinter einem. Sicherlich, die Historie, die Art der Bebauung, ja selbst das Essen, machen einem weiterhin klar, daß man noch in Mitteleuropa ist. Doch es hat nicht mehr diese Geschäftigkeit und Hektik. Trotz der gelegentlichen Invasion der westdeutschen Discounter hat jeder Ort seinen kleinen Lebensmittelladen im Zentrum und eine Wirtschaft fürs Zusammenkommen. Noch riecht es zur Mittagszeit nach Knödeln und Braten und nicht nach dieser unsäglichen Mischung aus Kebap & Pizza.
Beim Aufstieg ins Riesengebirge hat die Natur noch mehr Platz trotz einiger touristischer Orte. Der Zauber der Gegend in Ihrer wilden Urtümlichkeit ist erhalten.
Wieder ohne Grenzkontrollen ins heute schlesische Polen nach Bad Warmbrunn.
Der kleine Ort bei Hirschberg hat eine lange Geschichte als Kurort und glänzt mit einem wunderbaren großzügigen Park, der durch Schloß, Gastronomie und Theater eingehegt ist. An den touristischen Tafeln im Ort kann man den veränderten Umgang mit der Vergangenheit nachverfolgen. Die älteren Tafeln aus kommunistischer Zeit versuchen die deutsche Geschichte zu negieren und bemühen sich unter größten Verrenkungen eine polnische Kontinuität herzustellen, die nicht da war.
Dazu paßt, daß die polnische Regierung nach dem 2. Weltkrieg ein Ministerium zur Wiederbesiedelung der westpolnischen Gebiete gründete, daß zur Legitimation der Vertreibung der deutschen Bevölkerung dienen sollte.
Die neueren Tafeln sind dankenswerterweise auch eine Referenz an die reiche deutsche Geschichte der Gegend.
Im Wirtshaus erbiete ich dann meine Referenz an die schlesische Küche meiner Jugend: Kartoffelpuffer mit Steinpilzen, dazu Krautsalat und als Konzession ans Erwachsenenalter dunkles Bier.
Ein wunderbare Küche !
Am nächsten Tag folgt dann die für mich entscheidende Etappe hin nach Oberschlesien ins Insdustrierevier um Kattowitz, Gleiwitz und Zabrze / Hindenburg, die Heimat der Familie meiner Mutter.
Das Geburtshaus meiner Mutter hat das umgebende polnische Wirtschaftswunder leider nicht mitgemacht. Wie eine aus der Zeit gefallene Mietskaserne aus dem 19. Jahrhundert steht es noch da, halb verfallen, das Treppenhaus verdreckt, der erdverschmierte Hof noch mit den Barracken zu den Plumpsklos, davor halb verschrottete Autos: kein schöner Anblick. Drumherum Plattenbauten und ein modernisiertes Kohlekraftwerk.
Doch was auffällt zu früher: man kann den Himmel sehen ! Noch in den 80er Jahren waren nach einer halben Stunde Auto- oder Bahnfahrt die Scheiben voller Ruß und Dreck. Die Steinkohle zog in den Atem mit Ihrem beißendem Staub. Die Sonne sah man nie.
Das Viertel in Zarbze war mit Abstand das Schlimmste, was ich zu sehen bekam. Sonst ist es überall greifbar, wie groß der Fortschritt der letzten Jahrzehnte war. Viel davon von der EU finanziert. Doch wäre dies alles sinnlos geblieben, wenn sich nicht durch die Tüchtigkeit und den Fleiß der Menschen eine starke Wirtschaft gebildet hätte.
Nach dem Weg durch das nicht unbedingt schöne , aber vibrierende Gleiwitz, komme ich bald auf von Alleen gesäumte Landstraßen und nicht weit hinter der Stadtgrenze überrascht das erste Dorf mit einem etwas vernachlässigten, aber imposanten Schloss. Nun werden die Schilder zweisprachig, die Birken- und Kiefernwälder künden wieder von der Weite des Landes. Die Wiesen in Ihrer Anmut und hohen Gräsern deuten auf die nahe Oder hin.
Noch ein paar kleine verwinkelte Straßendörfer, einige überraschende Hügel, die fast schon Berge sind, dann fährt man in Lubowitz ein, der Heimat des romantischen Dichters Joseph von Eichendorff.
Die imposante Kirche aus rötlichen Ziegeln wurde als Ersatz für eine zu klein gewordene Holzkirche, wie sie man weiter Richtung Beskiden noch öfters findet, 1907 geweiht, durch die Rote Armee geschändet, wie es in der Chronik heißt, und dann sukzessive wieder in all Ihrer Pracht hergerichtet. Gleich beim anschließenden Pfarrhaus beginnen die Wegweiser zum Eichendorffschen Schloß, was leider nur noch als Ruine erhalten ist. Die Gedichte Eichendorffs in Deutsch und Polnisch weisen einem dem Weg. Zuerst zum Friedhof, zauberhaft idyllisch gelegen, mit charaktervollen alten Bäumen gesegnet und den improvisiert daliegenden alten Glocken der Kirche.
Nur unmerklich größer als die anderen Gräber ist das Grab Eichendorff. Wenn man von seinem Grab aus auf das kleine verwunschene Tor schaut, das sich zwischen Gräbern und Bäumen leicht verwinkelt und schief der Außenwelt öffnet, kann man sich schon als Protagonist in einem seiner Gedichte fühlen.
Erst recht, wenn man unter der nahen Eiche zum Schloß weitergeht. Eine Eiche, die schon über 200 Jahre hier wächst und alle Wirrungen der Zeit gelassen ertragen hat.
Ob das Fußballfeld ein paar Meter weiter schon zu Eichendorff Zeiten bestand, wage ich zu bezweifeln. Auch die recht sozialistischen wirkenden Garagen erzählen eher von dem hoffnungslosen Unterfangen, kolchosenartige Atmosphäre diesem ewig zauberhaften Orte aufzudrängen.
Der Schlosspark ist so verwunschen und zugewachsen, daß man sich in der Nähe von Dornröschens Zuhause wähnt. Kleine Frösche im Unterlaub genießen es, daß es so wenige Besucher hierherführt.
Doch wer es schafft, wird mit dem Gefühl belohnt, etwas ewig Kostbares gefunden zu haben.
Wie Rüdiger Safranski so treffend in einem Interview mit der NZZ die Feuerwand des Nationalsozialismus beschrieben hat, die die Deutschen von Ihrer Vergangenheit trennt: hier ist man durch sie durchgetreten oder sie hat einfach keine Bedeutung mehr. Und es öffnet sich wieder etwas vollkommen verloren Geglaubtes:
Das Volk der Dichter und Denker, jenseits von Ideologie und Nationalismus, jenseits von Schuld und Selbstverleugnung.
Und so beschließe ich den Tag bei Krautrouladen mit der merkwürdigen Erkenntnis, daß man ein ganzes Land mit 80 Millionen Menschen wie Deutschland am besten jenseits seiner Landesgrenzen findet.
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